„Wer eine friedliche Revolution unmöglich macht,…“

Po­si­ti­ons­pa­pier der FAU Stutt­gart und des Li­ber­tären Bünd­nisses Lud­wigs­burg zu Stutt­gart 21

Das Groß­pro­jekt “Stutt­gart 21” spaltet die Men­schen in der schwä­bi­schen Re­gion und weit dar­über hinaus. Es sind die über­bor­denden Kosten, deren Fi­nan­zie­rung bis­lang un­ge­klärt sind. Es ist die Zer­stö­rung der “grünen Lunge” der Stadt und es ist der Filz aus Po­litik und Wirt­schaft, der die Men­schen em­pört und auf die Straße und zum zi­vilen Un­ge­horsam treibt. Zu den De­mons­tra­tionen ver­sam­meln sich mitt­ler­weile viele zehn­tau­send Men­schen aus den un­ter­schied­lichsten Schichten und Al­ters­gruppen, um ihren Pro­test gegen das Mil­li­arden- und Mit­be­stim­mungs­grab S21 kund zu tun. Doch was spaltet das Pro­jekt ei­gent­lich? Es spaltet nur in ge­ringem Maße die Be­völ­ke­rung. Es zeigt viel­mehr die Tren­nung zwi­schen den “ein­fa­chen” Men­schen und denen “da oben”. Be­ein­dru­ckend an den Pro­testen ist die Viel­fäl­tig­keit und Krea­ti­vität, das Durch­hal­te­ver­mögen und der hohe Mo­bi­li­sie­rungs­grad. Der bis­lang wei­test­ge­hend fried­liche Pro­test übt auf die Oberen einen immer größer wer­denden Druck aus und wir un­ter­stützen und be­tei­ligen uns an diesen fried­li­chen Pro­testen. Die her­bei­fan­ta­sierten “Chaoten” gab es nur in den Hirnen ei­niger ver­wirrter Bou­le­vard­schrei­ber­linge. Wir müssen auf­passen, dass durch eben solche Be­richte der Wi­der­stand gegen die S21-Ver­bre­cher nicht ge­spalten wird.
Al­ler­dings steht für uns fest, dass der Wi­der­stand gegen S21 noch nicht seinen Hö­he­punkt er­reicht hat.

Uns als li­ber­tären Gruppen geht es bei den Pro­testen nicht darum, ein Bahn­hofs­ge­bäude zu schützen; dies ist ein Punkt, der dem kon­ser­va­tiven Flügel des Pro­testes zu eigen ist. Uns geht es auch nicht darum, wer diesen Un­sinn be­zahlt, ob nun Bund, Land oder Stadt. Uns geht es um mehr.

1. This is what de­mo­cracy looks like

Die Ar­ro­ganz, mit der die ge­wählten Ent­schei­dungs­träger_Innen mit den Pro­testen um­gehen, steht bei­spiel­haft für die par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kratie in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und welt­weit. Der Logik des Sys­tems nach haben die Wahl­be­rech­tigten in re­gel­mä­ßigem Ab­stand ihr Kreuz­chen zu ma­chen und im Üb­rigen ihr Mit­be­stim­mungs­recht ab­zu­geben. Doch das ist nicht unser Ver­ständnis von De­mo­kratie – wir for­dern viel­mehr hier­ar­chie­lose Ent­schei­dungs­pro­zesse. Ver­treter_Innen in Gre­mien und Räten sind nur mit einem im­pe­ra­tiven Mandat aus­zu­statten und somit an die Be­schlüsse der “Basis” zu binden. Alles an­dere führt zu Macht­kon­zen­tra­tion, zu Ent­mün­di­gung und Klün­gel­wirt­schaft (sic!).

Auch führt die Macht­kon­zen­tra­tion auf eine po­li­ti­sche Kaste zur Auf­lö­sung der doch ei­gent­lich sys­tem­re­le­vanten Tren­nung von Exe­ku­tive, Le­gis­la­tive und Ju­di­ka­tive. Wie bei den Pro­testen in Stutt­gart zu sehen ist, wird aus po­li­ti­schem Druck heraus ver­sucht, mit­tels des über­eilten Ab­bruchs, Fakten zu schaffen. Als Prell­bock für den Unmut auf der Straße muss dann die Po­lizei her­halten. Wie die Er­eig­nisse in den ersten Sep­tem­ber­tagen ge­zeigt haben, führt dies zu zu­neh­mender und will­kür­li­cher Po­li­zei­ge­walt. Zur Le­gi­ti­ma­tion von Po­li­zei­e­in­sätzen werden teil­weise ha­ne­bü­chene ju­ris­ti­sche Be­grün­dungen her­an­ge­zogen, siehe z.B. der SEK-Ein­satz gegen Robin Wood wegen eines “Ver­stoßes gegen die Grün­flä­chen­ver­ord­nung”.

Des Ad­lers Ant­wort ist der Knüppel – doch da­durch werden wir uns nicht ein­schüch­tern lassen! Wir werden uns auch nicht kri­mi­na­li­sieren lassen! Ge­walt­täter_Innen in Stutt­gart tragen grün/blau!

2. Wessen Stadt? – Uns’re Stadt!

Das Ar­gu­ment, dass durch die Tiefer­le­gung des Bahn­hofs neuer Wohn- und Le­bens­raum ent­stünde, scheint auf den ersten Blick ein gutes zu sein. Doch wir stellen die Frage, wer sich den Wohn­raum leisten kann? Stutt­gart be­legt in einem bun­des­weiten Ran­king den fünf­höchsten Platz bei den Miet­preisen. Durch eine wei­tere Auf­wer­tung der In­nen­stadt werden die Mieten in der Stadt noch weiter steigen und we­niger wohl­ha­bende bis prekär le­bende Men­schen weiter aus der Stadt ge­trieben. Die Stadt ge­hört aber nicht denen, die sie sich leisten können. Das “Uns’re” in der Über­schrift füllen wir mit all jenen, die in der Stadt leben wollen oder müssen. Die Stadt ge­hört allen!

3. Recht auf Ge­sund­heit und Leben

Eine Groß­bau­stelle wie Stutt­gart21 be­nö­tigt tau­sende von Ar­beiter_Innen. Der Zeit­druck, den die “Ent­schei­dungs­träger_Innen” nun auf­bauen, wird dazu führen, dass auf die Schaf­fenden am un­teren Ende ein im­menser Druck auf­ge­baut werden wird. Dies führt un­wei­ger­lich zu Un­acht­sam­keit und Stress und zu ge­sund­heit­li­chem Schaden bei den Ar­beiter_Innen. Es sind also wieder einmal die Lohn­ab­hän­gigen, die für das Rie­sen­pro­jekt aus­ge­quetscht werden. Und deren Blut, ihr Grubes, Map­puse und Schus­ters, klebt dann an euren Händen!

4. Men­schen­handel im 21. Jahr­hun­dert

Wie in obigem Punkt dar­ge­legt, werden tau­sende Ar­beiter_Innen für den Kel­ler­bahnhof be­nö­tigt. Dazu werden viele Men­schen aus wirt­schaft­lich schlechter ge­stellten Län­dern “im­por­tiert”. Dabei kommt es den Planer_Innen zu­gute, dass ab Mai 2011 eine neues eu­ro­päi­sches Ent­sen­de­ge­setz in Kraft tritt. Hier­durch wird es mög­lich, dass aus­län­di­sche Leih­ar­beits­firmen legal Men­schen nach Deutsch­land zu Löhnen und Kon­di­tionen in deren Hei­mat­län­dern ver­kaufen dürfen. Zum einen treibt dies die Un­mensch­lich­keit der Leih­ar­beit auf eine neue, trau­rige Spitze. Zum an­deren wird es aber auch dazu führen, dass hier an­säs­sige Men­schen­han­dels­firmen nach­ziehen werden. Es muss klar sein, dass sich die Grubes dieser Welt diese Mög­lich­keit der Kos­ten­sen­kung nicht ent­gehen lassen werden.

Auch unter Be­trach­tung der oben ge­nannten Punkte be­grüßen wir den Ent­schluss ei­niger Gruppen des Wi­der­standes, nicht an dem Runden Tisch teil­zu­nehmen. Dieser hätte die Pro­teste ge­spalten und zu einem Ein­schlafen dieser ge­führt. Ver­hand­lungen, so­fern über­haupt mög­lich, können nur auf Au­gen­höhe statt­finden, nicht aus der Gunst der Herr­schenden heraus.

Wir dürfen nicht zu­lassen, dass die bis­he­rige Praxis des “Kreuz­ma­chens – Weiter­schaf­fens” dazu führt, dass wir wei­terhin ent­mün­digt werden und uns nur die Häme und Über­heb­lich­keit der Oberen bleibt.

Wir dürfen nicht zu­lassen, dass Stutt­gart weiter gen­tri­fi­ziert wird und Men­schen der un­teren Ver­mö­gens­schichten weiter an den Rand ge­drängt werden.

Wir dürfen nicht zu­lassen, dass Po­litik nur für die Wirt­schaft und gegen die Men­schen ge­macht wird.

Stutt­gart, 8. Sep­tember 2010

„…macht eine ge­walt­same un­ver­meidbar!“ J.F.K.


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