„Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ ist eine oft gehörte Parole, vor allem in linken Zusammenhängen. Da diese durchaus legitime und unterstützenswerte Forderung jedoch an den Staat gerichtet wird, ist und bleibt sie eine Affirmation und Reproduktion der herrschenden Verhältnisse. Dass es aber um weit mehr gehen muss, also um die Abschaffung von Recht, Staat und Kapital, wollen wir mit folgendem Text erläutern.
Kapitalistischer Normalbetrieb? Zum Kotzen!
Der Kapitalismus basiert auf Privateigentum (an Produktionsmitteln), Verwertungsdruck und brutaler Konkurrenz unter Menschen, Unternehmen und Staaten. Um zu überleben, sind wir alle (die keine Produktionsmittel besitzen) gezwungen, uns gegen andere Menschen durchzusetzen, sei es der Kampf um Arbeitsplätze und Beförderungen, um Aufträge und Profite, um Gewinnanteile und Wachstumsraten. Dieser Leistungsterror und Zwang zum Egoismus zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Leben, angefangen in der Schule, später in der Uni, in der Ausbildung und im Berufsleben.
Gleichzeitig werden alle Lebensbereiche, egal ob Bildung oder Freizeit, Wissenschaft oder technischer Fortschritt Verwertungsinteressen untergeordnet und dienen somit nicht der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Der größte Widerspruch im Kapitalismus zeigt sich darin, dass er zum einen einen enormen Überfluss an Waren und wachsender technologischer Möglichkeiten zur Abschaffung von Mangel, Hunger, Krankheit, Armut und zur Automatisierung der Produktion hervorbringt, zum anderen aber auch auf soziales Elend, Hunger, Krieg und Umweltzerstörung angewiesen ist, um fortzubestehen. Das Weiterfunktionieren dieses von Grund auf extrem ungerechten Systems kann nur durch Gewalt gewährleistet werden.
Wir leben also in einer Gesellschaft, in der uns permanent Gewalt begegnet. Persönlich ausgeübte körperliche Gewalt ist dabei eher selten. Dagegen ist die strukturelle Gewalt – in Form des Staates, des Kapitals, des Patriarchats oder in Gestalt von moralischen Normen – überall und jederzeit anwesend und unumgänglich. Der offensichtlichste Ausdruck struktureller Gewalt ist die Gewalt des Staates. Sie drückt sich in seinen Gesetzen und seiner Rechtsprechung, in seinen Organen und Institutionen aus. Dazu gehören Polizei, Militär und Geheimdienste, Knäste und Schulen, aber auch Sozial-, Ausländer- und Arbeitsämter etc.
Der Staat und sein Gewaltmonopol
Der Staat definiert, wer „Gewalttäter_in“ ist und wer nicht, also was „gute“ (=gesellschaftlich akzeptierte) und was „schlechte“ (=gesellschaftlich nicht akzeptierte) Gewalt ist. Wer gegen diese Spielregeln, also geltende, vom Staat definierte, Gesetze verstößt, stellt damit – bewusst oder unbewusst – die Herrschaft des Staates in Frage, muss also in der Logik des Staates „bestraft“ werden.
Im Kapitalismus sorgt der Staat mit seinem Gewalt- und Machtmonopol dafür, dass die (Eigentums-)Verhältnisse so bleiben wie sie sind und gewährleistet somit den reibungslosen Ablauf von Produktion, Konkurrenz, Tausch von Waren und den Wert der Währung.
Das erklärt auch, warum ein Großteil der begangenen „Straftaten“ „Eigentumsdelikte“ (~39%, 2010 1) darstellen: viele Menschen sind dazu gezwungen, Lebensmittel in den Supermärkten zu „klauen“, um zu überleben; sind gezwungen, schwarz zu fahren, weil die hohen Ticketpreise nicht mehr bezahlt werden können; sitzen eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil Rechnungen, Miete oder Strafbefehle nicht mehr bezahlt werden konnten; sitzen in Abschiebehaft, weil sie vor Kriegen, politischer Verfolgung, oder einfach um überleben zu können, flüchten mussten.
Bürgerliche Medien wollen uns regelmäßig vermitteln, dass es „genau andersrum“ sei, also dass Mord (~0,03%, 2010 1) und Sexualdelikte (~0,13%, 2010 1) die meist begangenen „Straftaten“ seien und dass dementsprechend auch die Zusammensetzung im Knast sitzender Menschen aussehe. Mit solchen Taten begründet und legitimiert der bürgerliche Staat die Existenz des Knastes und hoher Strafen und lässt dabei natürlich die Tatsache außen vor, dass die gewalttätigen, herrschenden Verhältnisse ursächlich für ein solches Verhalten sind.
Durch die offen zur Schau gestellte Macht hochgerüsteter Knäste und hoher Strafen wird ein Klima der Angst aufgebaut, um weitere potentielle „Straftäter_innen“ abzuschrecken. Knäste stellen somit eine extreme, brutale und widerliche Form der Herrschaftsausübung und Unterdrückung des Staates im Kapitalismus dar.
Das Wegsperren „böser“ Menschen soll dem_der* „braven Normalbürger_in“ ein Gefühl von Sicherheit suggerieren, da die vermeintliche Bedrohung des bürgerlichen Friedens aus dem Sichtfeld der Gesellschaft entfernt wurde. Allerdings wird durch das Wegsperren etwaiger „Störenfriede“ keinesfalls eine Sicherheit hergestellt, sondern eine reine Symptombekämpfung bleibt. Die hohen Rückfallquoten (zwischen 40 und 70 % 2) zeigen zudem auf, dass der Knast, im Sinne dieser Gesellschaft, keinesfalls „bessere“ Menschen schafft und „Straftäter_innen“ selten resozialisiert.
Verschärfte soziale Rahmenbedingungen
Der Staat tritt allerdings nicht nur als „Kontrolleur_in“, sondern in gewisser Weise auch als Unternehmer_in auf. Und natürlich muss sich auch dieses Unternehmen der Verwertungslogik unterwerfen, kann also kein “schönes Leben” für alle Menschen gewährleisten, sondern muss den regulierenden Spagat zwischen totaler Staatspleite und „Bevölkerungsrevolte“ gegen zu schlechte Verhältnisse schaffen. Dies erklärt auch, warum Erwerbslose, Kranke, Alte und Menschen mit Behinderungen oft an bzw. über den Rand der eigenen Existenz gedrängt werden: Sie dienen nicht der Profitmaximierung, sind für Staat und Kapital also größtenteils „nutzlos“.
Während also auf der einen Seite die alltägliche kapitalistische Katastrophe u.a. durch weitere Einschnitte und Kürzungen im sozialen Bereich, wie z.B. mit Hartz IV, noch beschissener wird, rüstet der Staat auf der anderen Seite mit härteren Gesetzen, neuen Knästen und modernster Polizei- und Überwachungstechnik massiv auf, um den Laden am Laufen zu halten.
Für eine Gesellschaft ohne Knäste!
So lange die gesellschaftlichen Verhältnisse von Ausbeutung und Herrschaft nicht grundlegend verändert werden, macht die sofortige Schließung von Knästen und ähnlichen Anstalten natürlich wenig Sinn. Es muss darum gehen, diese gesellschaftlichen Verhältnisse, die Menschen dazu zwingen “kriminell” zu werden, als zusammenhängend zu begreifen, zu kritisieren und schlussendlich als Ganzes abzuschaffen. Gleichzeitig müssen wir jedoch Forderungen nach Verbesserungen der beschissenen Lebensumstände im Knast unterstützen und als Grundlage für die radikale Forderung nach der Abschaffung der Knäste nutzen.
Wir, als Teil einer kämpfenden Bewegung, müssen endlich damit anfangen uns solidarisch zu organisieren und zu vernetzen, Gefängnisausbrüche organisieren, Kaufhausraube planen, Fabriken besetzen, Polizeistationen abreißen und uns daran machen, gemeinsam etwas Besseres als Staat, Nation und Kapital zu schaffen: eine herrschaftsfreie Gesellschaft.
Eine Gesellschaft, in der es kein Eigentum, keine Grenzen, aber auch keine Herrschaft von Menschen über Menschen, also keinen Sexismus, keine Homophobie, keinen Rassismus und alle anderen Unterdrückungsmechanismen, und somit auch keine Knäste mehr geben wird!
Anmerkungen/Quellen:
*Wir verwenden in diesem Text „_in“ oder „_innen“ (Gender Gap), welches die Funktion hat, dass nicht nur weiblich oder männlich sozialisierte Menschen beachtet werden, sondern auch Menschen, die sich selbst zwischen bzw. außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit verorten.
1 www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/PKS2010.pdf
2 www.bpb.de/publikationen/5U20WD,1,0,Aufgaben_und_Ausgestaltung_des_Strafvollzugs.html
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