Demo: Es ist keine Krise – es ist das System

In der grie­chi­schen Be­völ­ke­rung wächst die Wut: De­mons­tra­tionen, Streiks, Be­set­zungen. Seit der An­kün­di­gung der Spar­maß­nahmen durch die grie­chi­sche Re­gie­rung und der EU traten zum wie­der­holten Male tau­sende Men­schen auf die Straße, um ihren Unmut dar­über kund zu tun.

Im Ge­gen­satz zu den Pro­testen 2008, die die Er­mor­dung des 15-jäh­rigen Alex­an­dros Gri­go­ro­poulos the­ma­ti­sierten, ist nun die Aus­wei­tung der Fi­nanz- und Staats­krise deut­lich zu er­kennen. Der Schwer­punkt der Teil­nehmer_innen an den Pro­testen setzt sich jetzt nicht mehr nur aus den pre­ka­ri­sierten und ein­kom­mens­schwa­chen Be­völ­ke­rungs­teilen Grie­chen­lands zu­sammen, son­dern breitet sich längst über alle ge­sell­schaft­li­chen Schichten aus. Al­lein in Athen und Thes­sa­lo­niki pro­tes­tierten rund 20.000 Men­schen im Zuge des 24-stün­digen Ge­ne­ral­streiks am 11. Mai diesen Jahres gegen die ge­plante Er­hö­hung der Ar­beits­zeiten, welche die Spar­maß­namen der Re­gie­rung vor­sehen. Drei Wo­chen später ver­sam­melten sich sogar 500.000 Men­schen im Athener Zen­trum, um sich gegen Kür­zungen bei Ge­halt und Rente zu wehren.

Die “Krise” wird nicht von ein­zelnen Staaten ver­schuldet, denn sie ist ein zy­klisch auf­tre­tender fester Be­stand­teil des Ka­pi­ta­lismus:

“Als öko­no­mi­sche Krise be­zeichnet man schwere Stö­rungen der öko­no­mi­schen Re­pro­duk­tion einer Ge­sell­schaft. In einer ka­pi­ta­lis­ti­schen Öko­nomie heißt dies, dass ein großer Teil der pro­du­zierten Wa­ren­menge nicht mehr ab­setzbar ist: Nicht etwa weil kein Be­dürfnis für die ent­spre­chenden Pro­dukte be­stehen würde, son­dern weil kein zah­lungs­fä­higes Be­dürfnis vor­handen ist. Das Wa­ren­ka­pital lässt sich nicht mehr voll­ständig in Geld­ka­pital ver­wan­deln, so­dass sich das vor­ge­schos­sene Ka­pital immer schlechter ver­wertet und die Ak­ku­mu­la­tion ab­nimmt. Damit ver­min­dert sich die Nach­frage der ka­pi­ta­lis­ti­schen Un­ter­nehmen nach den Ele­menten des pro­duk­tiven Ka­pi­tals, also nach Pro­duk­ti­ons­mit­teln und Ar­beits­kräften. Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit und ein Rück­gang der Kauf­kraft der Ar­beit­nehmer_innen sind die Folgen, was zu einem wei­teren Rück­gang der Nach­frage führt und die Krise ver­schärft.

Der Ka­pi­ta­lismus ist zwar nicht die ein­zige Pro­duk­ti­ons­weise, in der neben un­ge­heurem Reichtum rie­sige Armut exis­tiert, er ist al­ler­dings die ein­zige Pro­duk­ti­ons­weise, in der der Über­fluss an Gü­tern ein Pro­blem dar­stellt, un­ver­käuf­liche Güter zum Ruin ihrer Be­sitzer führen und es gleich­zeitig Men­schen gibt, denen es am nö­tigsten fehlt und denen es auch nicht ge­lingt, das ein­zige wor­über sie ver­fügen – ihre Ar­beits­kraft – zu ver­kaufen.“ (Nach Hein­rich; “Kritik der po­li­ti­schen Öko­nomie – Eine Ein­füh­rung” , theorie.org 2005)

Der grie­chi­sche Staat wurde seit der Ver­kün­dung der Staats­ver­schul­dung im Ok­tober 2009 zum Spiel­ball des Fi­nanz­sek­tors: Ra­ting-Agen­turen stuften die Kre­dit­wür­dig­keit des Staates her­unter. Dies hat die Folge, dass Grie­chen­land keine Mög­lich­keit mehr hat, günstig Kre­dite für Wirt­schafts­pro­gramme auf­zu­nehmen. Gleich­zeitig geht durch die Wetten der Fi­nanz­spe­ku­lant_innen auf einen grie­chi­schen Staats­bank­rott das Ver­trauen in die Zah­lungs­fä­hig­keit Grie­chen­lands in immer grö­ßerem Maße ver­loren. Die glo­bale Ka­pi­ta­lismus-/Fi­nanz­krise 2009 sorgt zu­gleich für eine an­dau­ernde Krise der grie­chi­schen Re­al­wirt­schaft. Stei­gende Ar­beits­lo­sen­zahlen sowie weiter an­stei­gende Staats­schulden ver­grö­ßern den Ver­trau­ens­ver­lust an den Märkten.

Diese Ab­wärts­s­pi­rale hat zur Folge, dass sich Grie­chen­land nur noch von den EU-Staaten Geld zu über­zo­genen Zinsen leihen kann. Im Ge­genzug ver­langen die Eu­ro­länder dras­ti­sche Spar­pro­gramme von der grie­chi­schen Re­gie­rung.

Doch wäh­rend in der Ver­gan­gen­heit vor allem die wohl­ha­ben­deren und rei­chen Schichten der grie­chi­schen Be­völ­ke­rung von der staat­li­chen Steu­er­po­litik pro­fi­tierten, gleich­zeitig Steuern in großem Stile hin­ter­zogen – und damit die Grund­lage für das hohe grie­chi­sche Staats­de­fizit legten – sind durch die Spar­pro­gramme vor allem die ein­kom­mens­schwä­cheren Be­völ­ke­rungs­teile be­troffen: Steu­er­er­hö­hungen, Lohn- und Ren­ten­kür­zungen, ver­min­derter Kün­di­gungs­schutz sorgen für eine Pre­ka­ri­sie­rung ganzer Be­völ­ke­rungs­teile. Zudem sollen u.a. wich­tige Grund­ver­sor­gungs­sys­teme wie die Was­ser­ver­sor­gung, Ei­sen­bahn, Häfen oder Elek­tri­zi­täts­werke (teil-) pri­va­ti­siert werden. Da­durch drohen wei­tere Kos­ten­stei­ge­rungen für die grie­chi­sche Be­völ­ke­rung.

Die grie­chi­schen Spar­maß­nahmen be­deuten fak­tisch eine Um­ver­tei­lung der Staats­schulden zu Lasten der Ar­beit­nehmer_innen, Mi­grant_innen, Schüler_innen, Stu­dent_innen und Er­werbs­losen.

An die Stelle der einst­mals vor­ran­gigen Idee eines frei­heit­li­chen Zu­sam­menschlusses Eu­ropas auf de­mo­kra­ti­scher Ebene treten die na­tio­nalen Wirt­schafts­in­ter­essen ein­zelner Mit­glieds­staaten. Seiner Sou­ve­rä­nität be­raubt, wird Grie­chen­land nun von den wirt­schaft­lich starken EU-Mit­glie­der­staaten dazu ge­zwungen, un­mensch­liche und de­mo­kra­tisch nicht durch­setz­bare Spar­pa­kete durch die Troika (EU-Kom­mis­sion, In­ter­na­tio­naler Wäh­rungs­fonds, Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank) um­zu­setzen.

Aber Grie­chen­land ist kein Ein­zel­fall, wenn es darum geht, staat­liche Haus­halts­de­fi­zite und Schulden auf Kosten der we­niger wohl­ha­benden Be­völ­ke­rungs­teilen ab­zu­bauen. Auch in an­deren EU-Län­dern haben die Re­gie­rungen dras­ti­sche und un­so­ziale Spar­maß­nahmen durch die Par­la­mente ge­drückt: Neben Grie­chen­land wurden in Spa­nien, Por­tugal, Ita­lien, Groß­bri­tan­nien, Ir­land und auch in Deutsch­land ra­di­kale Spar­pa­kete be­schlossen.

Eine dif­fe­ren­zierte Aus­ein­an­der­set­zung mit der The­matik kann sich bei einem Groß­teil der (bei­spiels­weise in Deutsch­land le­benden) Be­völ­ke­rung nicht ent­wi­ckeln, da sich die meisten Me­dien darauf be­schränken, ge­winn­brin­gende Schlag­zeilen zu ver­öf­fent­li­chen. Ge­schürt werden ras­sis­ti­sche Res­sen­ti­ments und ein­deu­tige Schuld­zu­wei­sungen. Das harte Ein­greifen der deut­schen Re­gie­rung wird somit ge­gen­über der Be­völ­ke­rung le­gi­ti­miert und als Schutz­me­cha­nismus zur Sta­bi­li­sie­rung der ei­genen Märkte ge­for­dert.

Der überall statt­fin­dende Kon­kur­renz­kampf, wieder einmal deut­lich ge­worden durch die an­hal­tende Krise, ist grund­sätz­li­cher Be­stand­teil des Ka­pi­ta­lismus. Er ist täg­lich von jedem Men­schen er­lebbar im exis­ten­zi­ellen Kampf um Bil­dung und Ar­beit. Klein- und Großun­ter­nehmen kon­kur­rieren ständig un­ter­ein­ander um Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Durch den Neo­li­be­ra­lismus be­dingt findet dieser Kampf nicht mehr nur auf re­gio­naler und na­tio­naler Ebene statt son­dern welt­weit.

Diesem Beiß­re­flex wollen wir uns sichtbar ent­ge­gen­stellen! Als Men­schen, die ein­ander jen­seits von Na­tio­nal­grenzen be­gegnen möchten, fühlen wir uns dem Hu­ma­nismus und somit den Prin­zi­pien der Frei­heit, Selbst­be­stim­mung, Gleich­heit und So­li­da­rität aller Men­schen ver­pflichtet.

Des­halb rufen wir am 15. Ok­tober 2011 zu einer Pro­test- und So­li­da­ri­täts­de­mons­tra­tion in Karls­ruhe auf! Lasst uns ge­meinsam wie in vielen an­deren eu­ro­päi­schen Städten an diesem de­zen­tralen eu­ro­päi­schen Ak­ti­onstag un­seren Unmut über die der­zei­tige Sys­tem­krise zum Aus­druck bringen.
Lasst uns ge­meinsam ein sicht­bares Zei­chen setzen: Für die Ent­mach­tung der Fi­nanz­märkte – Für eine breite So­li­da­rität zwi­schen den eu­ro­päi­schen Bürger_innen – Für ein neues Ge­sell­schafts­system, dass den Be­dürf­nissen aller Men­schen ge­recht wird!


“Es ist nicht die Krise – es ist das System!”
“Gren­zen­lose So­li­da­rität statt ka­pi­ta­lis­ti­schem Über­le­bens­kampf!”
15. Ok­tober 2011 – 16 Uhr
Karls­ruhe – Wer­der­platz

Alle Infos: esist­das­system.blogs­port.de


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