Aufruf zur Vorabend-Demo gegen den Papstbesuch in Freiburg

An­ti­se­mi­tismus – Pa­tri­ar­chat – Ka­pi­ta­lismus – WHAT THE FUCK?! Für die be­freite Ge­sell­schaft!

Am 24. und 25. Sep­tember 2011 kommt Jo­seph Rat­zinger, besser be­kannt als Papst Be­ne­dikt XVI, nach Frei­burg. Wir nehmen dies zum An­lass, um un­sere grund­sätz­liche Kritik an Re­li­gion, Kirche und den ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nissen zu äu­ßern.

Das Mär­chen von Adam und Eva

Denn seit Jahr­hun­derten pro­pa­giert die ka­tho­li­sche Kirche eine zu­tiefst re­ak­tio­näre, wie re­strik­tive Se­xual­moral und stig­ma­ti­siert alle, die nicht ihrem kon­ser­va­tiven sowie he­te­ro­se­xu­ellen Fa­mi­li­en­bild ent­spre­chen, als Sünder_innen. Frauen werden – wenn es nach der ka­tho­li­schen Kirche geht – einzig auf wil­lige Ge­bär­ma­schinen re­du­ziert.

Je­doch sind diese pa­tri­ar­chalen Zu­stände nicht nur ein Sym­ptom einer re­li­gi­ösen Ge­sell­schaft und etwa durch einen sä­ku­laren Staat be­hebbar. Viel­mehr be­ein­flussen sich ge­sell­schaft­liche Ver­hält­nisse und Re­li­gion wech­sel­seitig als Ideo­logie, welche fest in Form von Wert­vor­stel­lungen und Rol­len­zu­schrei­bungen in dieser Ge­sell­schaft ver­an­kert ist.

Früh wurde eine re­strik­tive zwei­ge­schlecht­liche Rol­len­ver­tei­lung fest­ge­legt, welche sich auch im Zuge der In­dus­tria­li­sie­rung in Lohn­ver­hält­nissen ma­ni­fes­tiert hat. Wäh­rend weib­lich so­zia­li­sierte Men­schen den re­pro­du­zie­renden Part über­nehmen, der ge­ne­rell nicht ent­lohnt wird, sind es meist männ­lich so­zia­li­sierte Men­schen, welche für die Pro­duk­tion zu­ständig sind und somit die „Ver­sor­ger­rolle“ über­nehmen. Das „Weib­li­che“ wird dem „Männ­li­chen“ stets bei- oder un­ter­ge­ordnet.

Diese klar de­fi­nierte zwei­ge­schlecht­liche Rol­len­ver­tei­lung hat sich in den letzten Jahr­zehnten teil­weise auf­ge­weicht. Be­stimmte Werte, Normen und Vor­stel­lungen von „Mo­ral“ (He­te­ro­nor­ma­ti­vität, tra­di­tio­nelles Fa­mi­li­en­bild, …) sind je­doch nach wie vor vor­handen und werden ver­in­ner­licht. Ohne die Mög­lich­keit, sie klar zu de­fi­nieren und zu be­nennen, sind sie schwer an­greifbar und zu über­winden.

Un­sere in­zwi­schen sä­ku­lare Ge­sell­schaft bein­haltet aber nach wie vor Ele­mente einer christ­lich-kirch­li­chen Logik, die sich ganz kon­kret in kon­ser­va­tiver Fa­mi­li­en­po­litik oder re­strik­tiven Ab­trei­bungs­ge­setzen äu­ßern. Hier wird Men­schen mit dem Verbot von Ver­hü­tung und Schwan­ger­schafts­ab­bruch die Mög­lich­keit auf ein selbst­be­stimmtes Leben ver­wei­gert und eine ef­fek­tive Prä­ven­tion von HIV und an­deren Ge­schlechts­krank­heiten ver­hin­dert.

An­ti­ju­da­ismus, Pi­us­bru­der­schaft und deut­sche Leit­kultur

Schon früh ent­stand durch den Al­lein­gel­tungs­an­spruch des Chris­ten­tums eine an­ti­ju­dais­ti­sche Logik, in wel­cher Jüd_innen als „ver­stockte Got­tes­mör­der“ dä­mo­ni­siert, und mit einer Viel­zahl ne­ga­tiver Ei­gen­schaften be­legt wurden: Sie galten als „Brun­nen­ver­gif­ter“, „Kin­des­mör­der“, „reich“, „gei­zig“ und „lis­tig“. Das Bild des „jü­di­schen Wu­che­rers“ ver­fes­tigte sich früh, und wurde durch eine Ta­bui­sie­rung ge­wisser Be­rufs­zweige für Christ_innen ver­schärft.

Mit dem Auf­stieg des Chris­ten­tums zur Staats­re­li­gion wurde Hei­dentum und Hä­resie zum Staats­ver­bre­chen er­klärt und Jüd_innen ge­zielt ge­sell­schaft­lich aus­ge­grenzt. An­ti­ju­da­ismus wurde im Laufe der Ge­schichte immer wieder im Kon­text von Miss­ständen, Kreuz­zügen und Epi­de­mien von der Kirche auf­ge­nommen, pro­pa­giert und durch­ge­setzt. Dies äu­ßerte sich unter an­derem in Zwang­staufen, Ver­ket­ze­rung, Aus­gren­zung, Kri­mi­na­li­sie­rung, Stig­ma­ti­sie­rung, Hass­aus­brü­chen, Massa­kern bis hin zu or­ga­ni­siertem Mas­sen­mord.

Re­li­gi­öser An­ti­ju­da­ismus und ein auf einer Ras­se­n­ideo­logie be­ru­hender An­ti­se­mi­tismus sind nicht gleich­zu­setzen, aber auch nicht von­ein­ander zu trennen: Sie sind his­to­risch eng ver­wandt, be­dingten ein­ander und wirkten zu­sammen bis hin zum Ho­lo­caust.

Unter der Füh­rung von Rat­zinger kam es wieder zu einem Auf­leben des ka­tho­li­schen An­ti­ju­da­ismus, der sich unter an­derem in der Wie­der­auf­nahme der Bi­schöfe der kle­rikal-fa­schis­ti­schen Pi­us­bru­der­schaft samt des Ho­lo­caust­leug­ners Wil­liamson in die ka­tho­li­sche Kirche äu­ßerte: „Die Juden er­fanden den Ho­lo­caust, damit wir de­mütig auf Knien ihren neuen Staat Is­rael ge­neh­migen […] Pro­tes­tanten be­kommen Be­fehle vom Teufel, und der Va­tikan hat seine Seele dem Li­be­ra­lismus ver­kauft.“ (Ri­chard Wil­liamson im April 1989).

An­ti­se­mi­tismus auf der Basis des christ­li­chen An­ti­ju­da­ismus war und ist Teil der deut­schen Leit­kultur. Dass eine solche Ideo­logie im Rahmen eines Große­vents von Zehn­tau­senden ab­ge­feiert, von den Me­dien ju­belnd be­worben, sowie von der Stadt mit Mil­lionen Euro ge­för­dert wird, ist er­schre­ckend, aber nicht weiter ver­wun­der­lich.

„Opium des Vol­kes“

Re­li­gion bein­haltet für ihre Gläu­bigen ein „himm­li­sches“ Eman­zi­pa­ti­ons­ver­spre­chen von diesem welt­li­chen Elend. Dabei dient das Ver­spre­chen auf Er­lö­sung und die Hoff­nung auf ein Pa­ra­dies als Aus­flucht aus der welt­li­chen Un­ter­drückung, Aus­beu­tung und so­zialer Un­ge­rech­tig­keit. Das il­lu­so­ri­sche Glück der Gläu­bigen ist dabei der Aus­druck ihrer Un­fä­hig­keit und Macht­lo­sig­keit, die welt­li­chen und so­zialen Gründe ihres Elends zu fassen und prak­tisch zu über­winden.

Gleich­zeitig ist Re­li­gion je­doch nicht nur Aus­druck des Elends, son­dern re­pro­du­ziert dieses sogar teil­weise ver­schärft, indem Gläu­bige in ihr feste Ver­hal­tens­re­geln vor­ge­setzt be­kommen, die einem eman­zi­pa­to­ri­schen An­spruch klar ent­ge­gen­stehen. Die Angst um Sterb­lich­keit und „ir­di­sche“ Exis­tenz wird Grund­lage für ein mo­ra­li­sches Re­gel­werk, wel­ches Herr­schaft über den Men­schen – weit über sein ma­te­ri­elles Da­sein hinaus – ausübt und le­gi­ti­miert. Bei einem Ver­stoß gegen die „Spiel­re­geln“ und Ge­bote drohen nicht al­lein ma­te­ri­elle Kon­se­quenzen und Strafe, son­dern auch eine Be­stra­fung des Im­ma­te­ri­ellen – „der Seele“ – im Jen­seits.

Vor Allem in ihrer in­sti­tu­tio­na­li­sierten Form, wie z.B. in der ka­tho­li­schen Kirche fallen die ver­mit­telten Wert- und Mo­ral­vor­stel­lungen daher oft selbst hinter die gän­gigen Vor­stel­lungen in der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft zu­rück.

Die von der ka­tho­li­schen Kirche auf­ge­stellten Re­geln sind aber kei­nes­falls ewig und un­ver­än­der­lich, wie es ihr Ab­so­lut­heits­an­spruch na­he­legt, son­dern werden ab und an vom Nach­folger Petri – dem Papst – will­kür­lich neu fest­ge­legt (vgl. Ab­schaf­fung der Vor­hölle für un­ge­taufte Neu­ge­bo­rene) und um­de­fi­niert.

Pa­ra­dise now!

Die Kirche ist also keine ka­ri­ka­tive Seel­sor­ge­in­sti­tu­tion für In­di­vi­duen, son­dern ein Macht­in­stru­ment, wel­ches welt­liche Macht und Un­gleich­heits­ver­hält­nisse le­gi­ti­miert und aus­baut. Kritik an Re­li­gion ist für uns die Vor­aus­set­zung für die Kritik an einer Ge­sell­schaft, die Jahr­hun­der­te­lang maß­geb­lich durch die Ein­flüsse der christ­li­chen Kir­chen ge­staltet wurde.

Als eman­zi­pa­to­ri­sche Linke dürfen wir aber nicht bei der Kritik an Kirche und Re­li­gion ste­hen­bleiben, son­dern müssen die herr­schenden Ver­hält­nisse um­fas­send ana­ly­sieren und kri­ti­sieren, um sie eines Tages über­winden zu können. Wir streben eine Ge­sell­schaft an, in der die Be­dürf­nisse des Men­schen, und nicht eine re­li­giöse Ver­blen­dung und eine nach Pro­fit­ma­xi­mie­rung aus­ge­rich­tete Ver­wer­tung aller Le­bens­be­reiche, im Vor­der­grund stehen.

An­statt auf das Pa­ra­dies als „Wie­der­gut­ma­chung“ so­zialer Un­ge­rech­tig­keit auf Erden zu warten, haben wir den An­spruch, eine so­li­da­ri­sche, re­spekt­volle, ge­walt- und herr­schafts­freie, also eine eman­zi­pa­to­ri­sche Ge­sell­schaft auf­zu­bauen.

An­ti­se­mi­tismus – Pa­tri­ar­chat – Ka­pi­ta­lismus – WHAT THE FUCK?!
Für die be­freite Ge­sell­schaft!

Demo | Freitag, 23.09.2011 | 18:30 Uhr | Sie­ges­denkmal, Frei­burg
Achtet auf An­kün­di­gungen auf wtffr.blogs­port.eu!


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